Vernachlässigung und Bestrafung - Der narzisstische Vater
- Vanessa
- 20. Jan. 2024
- 3 Min. Lesezeit
Die Bedürfnisse und Wünsche anderer Menschen schlichtweg zu ignorieren, gehört neben vielen anderen zu den gängigsten Methoden narzisstischen Missbrauchs. Der narzisstische Elternteil „übersieht“ nicht nur die Grenzen oder Emotionen anderer, sie spielen einfach keine Rolle in der narzisstischen Welt. Der Narzisst kann immer nur seine eigenen Bedürfnisse wahrnehmen und folgt seiner eigenen Triebhaftigkeit diese zu jeder Zeit zu stillen – auch auf Kosten anderer.
Die Außenwelt oder die Familie dienen dem Zweck dem narzisstischen Elternteil seine Selbstüberhöhung zu spiegeln - ohne Kritik, ohne Fragen. Erfüllen die Familienmitglieder diese Spiegelung, indem sie dem narzisstischen Vater so schalten und walten lassen wie er möchte, so ist er innerlich zufrieden, weil er das perfekte Bild einer harmonischen Familie gezeigt bekommt und damit das perfekte Bild seiner Rolle als Vater.
Wird dieses Bedürfnis jedoch nicht erfüllt, so gerät der Narzisst innerlich wieder ins Wanken, denn Außenwelt und Innenwelt sind aus narzisstischer Sicht nun mal nicht voneinander zu trennen.
Für ihn ist die Weigerung ihm das spiegeln was er möchte und braucht, einem Ungehorsam gleichzusetzen, der bestraft werden muss. Und ähnlich wie die narzisstische Mutter bestraft auch der narzisstische Vater gerne und oft. Doch Bestrafung muss im narzisstischen Kontext anders definiert werden: Denn eine Bestrafung durch einen narzisstischen Elternteil ist niemals gerechtfertigt.
Kinder, die von ihrem narzisstischen Elternteil bestraft werden, haben absolut keine Handlung begangen, die die Reaktion des Narzissten rechtfertigt. Es existiert keine Ursprungshandlung oder Provokation seitens des Kindes. Der Narzisst entscheidet rein willkürlich und aus der Laune heraus. Ein Beispiel des Silent Treatment aus meiner eigenen Kindheit: Ich bin einmal den Flur entlanggerannt und durch den Windstoß ist eines der Bilder, die an der Wand hingen heruntergefallen. Es war nicht vollständig kaputt, aber am Rahmen war nun mal eine Delle vom Aufprall zu sehen. Mein Vater hat tagelang nicht mehr mit mir gesprochen.
Ein anderes Beispiel: Eine narzisstische Mutter bestraft ihre Kinder, wenn ihnen ihr Essen nicht schmeckt. Für sie ist dies eine persönliche Kränkung, ein Angriff auf ihr narzisstisches Selbstverständnis, insbesondere wenn diese „Ablehnung“ eine Ablehnung ihrer Vorstellung der perfekten Köchin, der perfekten Mutter, bedeutet. Die Strafe kann hier völlig unterschiedlich aussehen, z.B. muss das Kind stundenlang am Tisch sitzen bleiben, um es zum Essen zu zwingen oder zukünftige Speisen werden "verändert", damit es dem Kind nicht mehr schmeckt.
Eine Ablehnung durch das Kind – egal in welcher Form - ist für den narzisstischen Elternteil immer gleichzusetzen mit einer Ablehnung seiner Selbst. Nicht nur zeigt damit das Kind seinen eigenen Willen, sondern der narzisstische Elternteil kommt hier wieder an die Grenzen seiner überhöhten und wahnhaften Selbstdarstellung.
ALLES kann für den Narzissten eine persönliche Kränkung sein – insbesondere ein Nein der eigenen Kinder. Sei dieses Nein noch so unbedeutend, klein oder eben absolut selbstverständlich und nachvollziehbar: Es ist für den Narzissten ein persönlicher Angriff. Und auf Ablehnung kennt der Narzisst eben nur eine Antwort: Strafe.
Strafe durch einen verdeckten Narzissten kann jedoch nur in einem passiv-aggressiven Spektrum erfolgen, weshalb „Ignorieren“ oder Silent-Treatment ganz oben auf der Liste des narzisstischen Missbrauchs steht. Ein narzisstischer Vater beispielsweise hat das innere Bedürfnis seinem Kind seine eigenen Komplexe zu spiegeln: „Du bist es nicht wert“, „Du bist es mir nicht wert, dass ich Zeit mit dir verbringe“ oder „Du bist es mir nicht wert, dass ich mich um dich kümmere.“ Es ist ein Spiegel der Wertlosigkeit, der dem Kind vorgehalten wird und sich auf der Handlungsebene in Ignoranz und Vernachlässigung äußert. Die emotionalen Bedürfnisse des Kindes existieren nicht für den narzisstischen Vater. Das Ergebnis ist eine seelische und emotionale Vernachlässigung. Jedoch ist „aktiv nichts zu tun“ schwer von Außen nachzuvollziehen oder zu beurteilen, denn für das Unterlassen von liebevoller Zuneigung wird in einem toxischen Familiensystem niemand zur Verantwortung gezogen.
Da die restlichen Familienmitglieder diejenigen sind, die ihren aktiven Rollen innerhalb der Familie zu spielen haben, springen sie dort ein, wo der Narzisst Lücken hinterlässt. Was bleibt ist dann wieder nur der Versuch das Kranke „normal“ aussehen zu lassen, um das Familiensystem zu schützen.
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