Wut - Emotionen im toxischen Familiensystem

Emotionen spielen eine große Rolle in einem toxischen Familiensystem. Aber im Gegensatz zu einem gesunden Familiensystem, wo der Fokus auf emotionaler Unterstützung, Förderung und persönlicher Zuwendung liegt, ist es in einem dysfunktionalen Familiensystem der Missbrauch von Emotionen.

In einem toxischen Familiensystem besteht eine ewige Dysbalance zwischen den Erwachsenen und den Kindern. Aber auch die Elternbeziehung ist geprägt von einem Ungleichgewicht von Geben und Nehmen. Grundsätzlich betreibt der narzisstische Elternteil den großen Raubbau an den Gefühlen der anderen Familienmitglieder. Gleichzeitig lässt er sich von seinen eigenen negativen Gefühlen leiten und projiziert diese auf sein direktes Umfeld, was sich in toxischem Verhalten äußert. Da narzisstischer Missbrauch immer die emotionale Ausbeutung anderer zum Ziel hat und die Familie dem Narzissten dafür einen sicheren Hafen bietet, sind es in jeglicher sozialen und familiären Konstellation stets die gleichen Gefühle, die ausgehend vom Narzissten, getriggert werden.

Wut ist eine DER Emotionen, wenn es um narzisstischen Missbrauch in Familien geht. Dabei liegt die Wut sowohl auf narzisstischer Seite, wo sie natürlich als Auslöser der destruktiven Handlungsweisen fungiert, wie auch auf Seiten der anderen Familienmitglieder. Ein Narzisst trägt seine persönliche Wut seit Jahren als Ergebnis einer immer gefühlten Ungleichbehandlung mit sich herum und lässt diese mal mehr, mal weniger aggressiv an seiner Umwelt aus: Das zeigt sich in streitlustigem Verhalten, einer aggressiven Arbeitsmoral, übermäßigen emotionalen Reaktionen auf geringfügige Alltagssituationen, verbalen Entgleisungen, einer ständigen Unzufriedenheit, körperlicher Gewalt etc.

Für einen Narzissten ist seine Wut ein ständiger Begleiter und das wahrscheinlich seit Kindheitstagen. Narzissten sind Menschen, die ihre Bedürfnisse ständig der Gefahr ausgesetzt sehen, ignoriert oder übergangen zu werden. Ein Überbleibsel aus einer eigenen erfahrenen dysfunktionalen Familienstruktur, die ihren Ursprung in Vernachlässigung hat und nun mit dem kindlichen Gefühl eines Erwachsenen endet, nie genug zu haben. Bedürfnisse, die nicht gestillt werden, bleiben – ein Leben lang.

Und aus dem Gefühl Ungerecht behandelt, übergangen oder ignoriert worden zu sein, bildet sich schlussendlich eine lange Kette von negativen Gefühlen und damit verbundenen destruktiven Verhaltensweisen. Ein narzisstischer Elternteil überträgt deshalb seine eigene Gefühlswelt ins Außen und dazu gehören eben auch unverarbeitete Emotionen aus der Kindheit, wie z.B. Wut. Diese Wut wird nun im Familiensystem tagtäglich ausgelebt und auf Situationen und Menschen übertragen, die absolut in keinem Verhältnis zu der Ursprungsemotion stehen. Doch dem Narzissten geht es nun mal besser, wenn er seine Wut rausgelassen hat. Sei es nun am Handwerker oder den eigenen Kindern. Tatsächlich spielt es nur eine geringfügige Rolle wer die Wut abbekommt. Hauptsache dem Narzissten geht es dadurch kurzzeitig besser.

Doch die Wut wird nicht nur völlig unpassend projiziert: sie wird übertragen und bleibt beim Gegenüber als eigene Wut bestehen. Für die Kinder bedeutet das: Wut darüber, dass man ungerecht behandelt wird. Wut darüber, dass man das nicht verdient hat. Wut darüber, dass man als Kind nichts dagegen machen kann. Wut darüber, dass niemand etwas dagegen macht.

Diese Wut bleibt dann auch noch als Erwachsener, doch wurde "gelernt" diese zu unterdrücken, denn: Die Wut durfte nie ausgelebt werden. Für seine berechtigte Wut gegen die Ungerechtigkeiten wurde man entweder bestraft oder gänzlich ignoriert. So oder so: Es wurde nie ein angemessener Umgang mit der Wut gelernt.

Was bleibt sind dann Emotionen, die nie auf der Handlungsebene ausgedrückt werden können. Und das Ergebnis sind Erwachsene, die, wenn sie (unabhängig von wem oder in welcher sozialer Interaktion) Ungerechtigkeit erfahren, zwar wütend darüber werden, aber nichts dagegen unternehmen können.

Es ist wie bei allen Gefühlen, die der narzisstische Elternteil in sich trägt: Er überträgt sie auf die anderen Familienmitglieder, speziell auf die Kinder. Er erschafft die gleiche familiäre Situation, in der er sich ausgesetzt gefühlt hat und kreiert damit einen Kreislauf des Missbrauchs: Alle anderen sollen genauso leiden, wie er selbst gelitten hat.